Der Schattenmann by Winkler Willi
Autor:Winkler, Willi
Die sprache: deu
Format: epub
Herausgeber: Rowohlt Digitalbuch
14. Joseph Goebbels wird endlich respektiert
Ohne das Andenken der Nachwelt verblasst selbst der satanische Glanz, mit dem die Nationalsozialisten ihr Volk und ihre Nachbarn schreckten. «Ich stehe vor mir, und ich glaube, auch vor der Nachwelt, rein und sauber da»,1 soll Joseph Goebbels am Ende seiner Laufbahn gesagt haben, und sein getreuer Referent Wilfred von Oven konnte beobachten, wie er sich bei diesen historischen Worten die Tränen abtupfte, «die ihm», so ist das bei diesen sentimentalen Erinnerungen, «unaufhaltsam aus den Augen rollen».2 Ohne Nachwelt ist alles nichts, und ohne einen Mann wie Genoud wäre die Nachwelt vom originaltönenden Goebbels und den Seinen weitgehend verschont geblieben. Aber Genoud sah es nun einmal als seine wichtigste Aufgabe, den 1945 so kläglich gescheiterten Kampf fortzusetzen und der Welt, die nichts mehr davon wissen wollte, von den Taten seiner Helden zu berichten oder, wie er es formulierte, «das unaufhebliche Recht von Personen auf geistiges Eigentum» durchzusetzen. «Dieses Recht, das damals und in der Folge gewissenlos und gewinnbringend mißachtet wurde, suchte ich für einige der Betroffenen zu schützen: Hitler, Bormann, Goebbels.»3 Solche Treue war selten geworden und gewiss Rechtfertigung genug, um mit allen juristischen Mitteln gegen Verlage und wissenschaftliche Institutionen vorzugehen, die sich diesem «unaufheblichen Recht» nicht beugen wollten.
Fünfzehn Jahre sind vergangen, seit François Genoud angefangen hat, sich um das Erbe von Joseph Goebbels zu bemühen. Der Bundesgerichtshof hatte die Klage der Krankenschwester Hildegard Meyer-Bendels mit Urteil vom 22. Dezember 1960 ohne Entscheidung an das Oberlandesgericht Köln zurückverwiesen. In einem Urteil vom 30. Januar 1964 hatte das Oberlandesgericht Köln die Klage von Frau Meyer-Bendels endgültig abgewiesen und sie dazu verurteilt, den bis dahin greifbaren Goebbels-Nachlass an Genoud herauszugeben: einen Koffer, enthaltend Liebesbriefe, reimlose Gedichte, ein Drama mit dem Titel «Kampf der Arbeiterklasse», viele Zettel. Seit diesem Kölner Urteil besaß Genoud endgültig die Rechte an Goebbels, wenn er auch außer diesem einen Koffer nichts aus dem Nachlass in der Hand hatte. Das ebenfalls unveröffentlichte Tagebuch galt zum größten Teil als verschollen, verbrannt vielleicht, im Boden vergraben, verfault. Immer wieder machten sich Schatzgräber auf – unter ihnen auch David Irving, die kommende schwarze Mamba der Zeitgeschichtsforschung –, um an einsamen Orten, die ihnen von angeblichen Zeitzeugen genannt waren, nach dem Nazi-Papierschatz zu buddeln.4 Es fand sich nichts.
Genoud war in diesen langen fünfzehn Jahren anderweitig beschäftigt. Die Revolution in Algerien, die sich fortsetzte im arabischen Aufstand der Palästinenser, hielt ihn von Goebbels fern, zumal die Aussicht lockte, die jungen Araber könnten sich von den Ideen seines geliebten Führers leiten lassen, wie er sie im «Politischen Testament» niedergelegt hatte. Es ist nicht seiner allein, aber Genoud hat Erfolg. «Für den Sozialismus sind hier alle», berichtet 1964 ein Reisender aus Algerien. «Für Hitler auch.»5 Goebbels musste vorläufig warten. Sogar Adolf Eichmann war zeitweise wichtiger, da sich mit dessen wortreichen Erinnerungen zum ersten Mal in größerem Stil Geld verdienen ließ.
Dann kommt ihm wieder einmal die Weltgeschichte zu Hilfe. Ende der sechziger Jahre, als der Westen sich auf eine neue Ostpolitik besinnt, versucht die DDR, Joseph Goebbels und seine Hinterlassenschaft im Westen loszuschlagen.
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